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„Beziehungs-Inseln“
(2018)
Die vorliegende Forschungsarbeit verfolgt das Ziel, einen Beitrag zur Lehrpersonenweiterbildung zu leisten, indem eine videobasierte Unterrichtsreflexion, welche ihre Erkenntnisse vor dem Hintergrund der Dynamiken in Unterrichtssituationen gewinnt, diskutiert wird.
Aus einer konsequenten, erkenntnistheoretischen Haltung heraus werden die Vielfalt und die Dynamik innerhalb einer Unterrichtssituation anerkannt und eine Reduktion sowie Vereinfachung der Forschungssituation bewusst vermieden. Dieser grundlegende Ansatz stützt sich auf die Lern- und Kommunikationstheorien von Bateson, auf den ökosystemischen Ansatz nach Bronfenbrenner, auf den Denkstil nach Fleck, auf die Kommunikationstheorie von Flusser, auf die Theorien von von Foerster und von von Glasersfeld, auf die Institutionelle Analyse nach Lapassade, auf die Systemtheorie nach Luhmann, auf die Akteur-Netzwerk-Theorie nach Latour und auf die Theorie des sozialen Raumes nach Lefebvre.
Das Instrument zur Datengewinnung ist die Videographie. Die erstellten Filme werden grafisch bearbeitet. Die dadurch generierten Analysedaten geben Einblick in die Dynamik von Unterrichtsabläufen und Lehrpersonen- und Schülerhandeln, indem Beziehungen erkannt, grafisch markiert und in Abfolgen von Mustern diskutiert werden. Von fünf Klassen werden je drei Unterrichtssequenzen grafisch bearbeitet und mit den Lehrpersonen das eigene Filmmaterial diskutiert. Im Fokus stehen die Fragen nach der visuellen Wahrnehmung von Beziehungen und dem Bestehen allfälliger Muster.
Wissend, dass nichts sicher, alles möglich und nichts stabil ist, wird die Forschungsarbeit zur großen Herausforderung. In der Forschungsarbeit unter Verwendung des Konzepts der Beziehungs-Inseln werden Unsicherheiten nicht verdrängt oder verneint, sondern als gegeben in die Planung miteinbezogen. Mit Hilfe der Beziehungs-Inseln ist es möglich, die herrschenden Beziehungen in einer Unterrichtsdimension zu erkennen und sie im Wechsel von wissenschaftlicher Verfahrensweise und beruflichem Denkstil zu reflektieren.
Diese Gegenüberstellung und gleichzeitige Vernetzung fördert die Auseinandersetzung zwischen Theorie und Praxis, zwischen Idealvorstellung und Realsituation und zwischen Erkenntnis und Erleben. Das Potenzial der Beziehungs-Insel-Analyse liegt in der eingenommenen Prozessperspektive, welche durch grafische Darstellung, sich wiederholende Interaktionsmuster, die man verstehen und erklären will, aufdecken lässt.
Wege zur Artenkenntnis
(2019)
Der Rückgang an biologischer Vielfalt ist eine weltweite Bedrohung und trotz weitrei-chender Zustimmung zur Dringlichkeit von Maßnahmen schreitet der Verlust voran. Der Schutz und Erhalt biologischer Vielfalt wird deshalb als eine der dringendsten Umweltaufgaben angesehen, was allerdings nicht ohne Einbezug der Öffentlichkeit geschehen kann. Untersuchungen zeigen aber, dass vor allem in hochindustrialisierten Ländern die Wahrnehmung von Arten gering ist und möglicherweise dazu führt, dass Menschen den schleichenden Verlust an biologischer Vielfalt gar nicht erkennen. Über den Umfang und die Qualität von artenkundlichem Unterricht in der Primarschule in der Schweiz und die Förderung von Artenkenntnissen durch die Familie und andere Personen ist allerdings nur sehr wenig bekannt. In der vorliegenden Arbeit wurde deshalb in vier komplementären Studien untersucht, welche Pflanzen und Tiere des Siedlungsraums Schülerinnen und Schüler der Mittelstufe im Kanton Bern kennen und wie sich Artenkenntnis entwickelt.
Erstmals wurden mit Hilfe einer großen Zahl an Arten (69 Pflanzen- und 67 Tierarten), die als Bilder vorgelegt wurden, die Artenkenntnisse von 241 Schülerinnen und Schülern der Mittelstufe im Kanton Bern und ihrer 14 Lehrpersonen ermittelt. Neben soziodemografischen Daten wurden zudem auch die Naturerfahrungen der Kinder erhoben. Weiterhin wurde mit Hilfe leitfadengestützter Interviews untersucht, welche Erfahrungen 47 Schülerinnen und Schüler, die bereits an der Fragebogenstudie teilgenommen hatten, beim Kennenlernen von Arten machen, auf welche Merkmale sie sich dabei stützen und für wie bedeutsam sie Artenkenntnisse halten. Zudem wurden nach fünf Jahren 22 Schülerinnen und Schüler der ersten Kohorte erneut zu ihrer Artenkenntnis und der Bedeutung von Artenkenntnissen befragt.
Die Ergebnisse zeigen, dass zwischen der korrekten Benennung von Pflanzen- und Tierarten sowohl bei den Schülerinnen und Schülern als auch bei ihren Lehrpersonen ein positiver Zusammenhang bestand. Am häufigsten wurden von den Kindern Löwenzahn (Taraxacum officinale), Wald-Erdbeere (Fragaria vesca), Himbeere (Rubus idaeus), Große Brennnessel (Urtica dioica) und Rosskastanie (Aesculus hippocastanum) korrekt benannt. Bei den Tieren waren es Rotfuchs (Vulpes vulpes), Igel (Erinaceus europaeus), Zwergfledermaus (Pipistrellus pipistrellus), Feldhase (Lepus europaeus) und Wildschwein (Sus scrofa). Mit zunehmendem Alter der Schülerinnen und Schüler nahm die korrekte Benennung der Pflanzen- und Tierarten im Querschnittvergleich ab, wobei Jungen eine bessere Kenntnis der vorgelegten Tierarten hatten als Mädchen. Kinder, die mit beiden Elternteilen weder Deutsch noch Schweizerdeutsch sprachen, und Kinder, die ihre Naturerfahrungen, Begegnungen mit Pflanzen und Tieren und die Auseinandersetzung mit spezifischen Merkmalen der Lebewesen hauptsächlich im schulischen Kontext gemacht hatten, wiesen die niedrigste Artenkenntnis auf. Das Vorhandensein von Bäumen und einem Garten, die Verantwortung für Lebewesen und die Benennung von Pflanzen und Tieren durch Erwachsene im engeren Umfeld war für die Artenkenntnis förderlich. Die Lehrpersonen konnten deutlich mehr Pflanzen, aber auch mehr Tiere korrekt benennen als ihre Schülerinnen und Schüler. Je älter und damit berufserfahrener eine Lehrperson war, desto besser war ihre Kenntnis der gezeigten Pflanzen- und Tierarten. Zwischen der Anzahl der durch die Lehrpersonen korrekt benannten Pflanzen- und Tierarten und derjenigen ihrer Schülerinnen und Schüler bestand allerdings kein signifikanter Zusammenhang.
Mit dem Kennenlernen von Pflanzen verbanden die Kinder vor allem sinnliche Erlebnisse wie zum Beispiel den unangenehmen Kontakt mit Brennhaaren. Sie erinnerten sich aber auch an die Zubereitung von Gerichten aus Kräutern. Mit dem Kennenlernen von Tieren verbanden die Kinder vor allem Beobachtungen, die sie alleine oder mit anderen Personen gemacht hatten. Eltern und Großeltern halfen beim Kennenlernen von Arten mehr als die Schule oder die Medien. Es bestand ein positiver Zusammenhang zwischen der Artenkenntnis der Kinder und der Anzahl Merkmale, mit denen sie die Arten beschreiben konnten. Bei den Pflanzen achteten die Kinder vor allem auf den Stängel, die Behaarung, die Blätter oder die Früchte und weniger auf die Blüte. Bestimmungshilfen für Kinder sollten deshalb stärker auch vegetative Pflanzenteile in den Vordergrund stellen. Bei den Tieren wurde deutlich, dass die Kinder mehr Merkmale als bei den Pflanzen beschreiben konnten, dass aber fachwissenschaftlich entscheidende Merkmale für die Bestimmung, wie die Dreiteiligkeit des Insektenkörpers, für Schülerinnen und Schüler keine auffälligen Merkmale darstellten.
Die Kenntnis einheimischer Pflanzen- und Tierarten schätzte die Mehrheit der befragten Kinder zum ersten Befragungszeitpunkt, aber auch fünf Jahre später als wichtig ein. Sie wollten häufige Arten des Siedlungsraums kennenlernen, da es zur Allgemeinbildung dazugehöre und auch nützlich sei. Dass in der Erhebung nach fünf Jahren drei Viertel der Jugendlichen eine bessere Kenntnis der ihnen vorgelegten Pflanzen- und Tierarten aufwiesen, ist vermutlich in ihrem persönlichen Interesse begründet.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Aufmerksamkeit der Kinder für Merkmale von Pflanzen und Tieren eng mit ihrer Artenkenntnis und damit mit der Wahrnehmung von Vielfalt in der Natur verbunden ist. Das familiäre Umfeld ist für das Kennenlernen von Arten sehr wichtig. Fällt es weg, muss die Schule diese Aufgabe verstärkt wahrnehmen, um so zu einem Verständnis von biologischer Vielfalt beizutragen. Der Vermittlung organismischer Kenntnisse in der Aus- oder Weiterbildung von Lehrpersonen kommt deshalb eine wichtige Rolle zu.